Calmüser

Anlässlich des Stahlschmidt-Familientreffens in Kreuztal-Eichen im Jahr 2004 hält Brigitte Stahlschmidts Ehemann Axel Muthwill einen Vortrag (siehe unter Kapitel Familientreffen Kreuztal 2004) und berichtet von Brigittes Vorfahren August Stahlschmidt (1808 – 1867), der in Halberstadt am hohen Weg eine Weinhandlung und Likörfabrik betreibt. Augusts Vater ist der Gröbziger Kaufmann Georg August Christian Stahlschmidt, ein 1770 geborener Sohn von Georg Friedrich Casimir und seiner zweiten Frau, der Pastorentochter Augusta Adriana Friederica Doering. Augusts Schwester Emilie Dorothea Friederike Stahlschmidt bekommt  den am 8.10.1807 in Grossalsleben geborenen Friedrich Christian Koehler  zum Ehemann, der die Töchterschule in Dessau von 1842 bis 1871 als Direktor leitet.

Um 1830 erfindet August den Calmüser, der für die damalige Zeit ernorm populär wird. Nachstehend eine Abschrift eines grossen Plakates, das von seinem Freund Litfass, dem späteren Erfinder der Litfass-Säulen, zu Ehren des Calmüsers gedruckt wird sowie eine Transkription des von August selbst verfassten Glaubensbekenntnisses.
CalmueserGlaubensbekenntnis August
Calmüser

Motto: Generatio aequivoca

Was ist Calmüser?

Calmüser ist eine Tatsache, ein Faktum, ein weltgeschichtliches Ereignis! Calmüser ist eine Flüssigkeit, die nicht nur in Halberstadt, wo sie erfunden wurde, nicht bloss in Köln, Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden, Magdeburg etc., wo sie bereits getrunken wird, zu hohem Ansehen gekommen ist, nein, sie ist eine Errungenschaft Preussens, Europas, der ganzen bekannten und unbekannten sublimarischen Welt, denn sie hat das Ungeheuer, die Cholera, besiegt.

Jedes männliche und weibliche Individuum auf unserem Planeten, welchen den Calmüser nicht kennt, entbehrt eines der angenehmsten Zungenreize, des heilendsten, sichersten und kräftigsten Magen-Elixiers, welches durch den untenstehend abgedruckten Panegyrus verherrlicht wird, und des schon die Gelehrten des Kladderadatsch durch die Worte gefeiert haben:

Ihr Calmüser verdient seine Lorbeeren mehr als mancher Held!

Du Feuergeist, der in der Flasche glüht, nicht Flammen, nein, nur milde Funken sprüht.
Der Schnäpse edelster in weiten Kreisen, wirst stets du selber deinen Schöpfer preisen.
Seitdem von deinem Werte tief durchdrungen, der Kladderadatsch-Gelehrte Dich besungen.
Du hast mit edlen Geistern im Verein, mit Knollen und mit Fusel nichts gemein.
Du strömst entfuselt dein Aroma aus, ein Elixier für jedes gute Haus.
Du findest Eingang in Hotel und Schänke, ein wahrer Ausbund geistiger Getränke.
Bist du beliebt bei Bauer und Seigneur, du hebst und belebst den Verkehr.
Bist magenstärkend und auf mancher Weise, ein freundlicher Begleiter auf der Reise.
Soll ich euch noch des Phönix Namen nennen, den Kaffern selbst und Botokuden kennen,
der siegend in der Schnäpse grosse Zahl tritt?
So wisst: Calmüser ist von August Stahlschmidt

Manuskript nur für Geschäftsfreunde
Schnellpressendruck von Ernst Litfass, Berlin, Adlerstr. 6
Aus dem Jahre etwa 1840

Mit dem frühen Tode von August Stahlschmidt im Jahre 1867 soll das geheim gehaltene Rezept des Calmüsers verlorengegangen sein, was aber anscheinend nicht stimmt, es sei denn, es handelt sich nicht um das Original. Im 1892 erschienenen Buch “Die Bereitung von Liquoeren, Branntweinen, Arac, Cognac, Frankbranntwein, Rum etc. auf kaltem Wege” von Gustav Adolf Buchheister ist der Calmüser zu finden, wie mir ein Ahnenforscher aus Berlin mitteilt und folgende Anleitung dazu gibt: Das “Calmüser-Oel” für der Calmüser-Liqueur ist der Ölextrakt der Kalmuswurzel. Dieses Öl müssten Sie in der Apotheke als Calami aetheroleum kaufen können, ebenso die Veilchenblüten-Essenz und die Weinsprit-Essenz (Weinsprit ist ein anderer Begriff für Franzbranntwein, aus Wein gebrannten aromatischen Alkohol). Bei dem im Rezept geforderten 90%igen Sprit handelt es sich um geschmacksneutralen Trinkalkohol.
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Der freundliche Berliner Wiederentdecker des Calmüser-Rezeptes macht Lust aufs Ausprobieren:
«Mein befreundeter Apotheker hatte mich gestern Abend zum Testen des von ihm nach Rezept angesetzten Calmüser eingeladen. Leider war nur ein halber Liter angesetzt worden; auch die Reifezeit war mit zwei Monaten knapp am Minimum angesetzt worden. Was soll ich sagen, die Flasche ist auf Anweisung des Apothekers jetzt leer, und weder der Apotheker noch seine Freundin noch ich haben einen Kater oder andere unerfreuliche Nebenwirkungen :-) . Mein Urteil: Das Aroma lässt sich am besten mit “für einen Magenbitter relativ elegant” umschreiben. Der Geruch ist am ehesten mit fruchtig zu beschreiben und erinnert ein bisschen an süße Orangen oder Mandarinen sowie – logischerweise – an Veilchen und ruft bei mir Assoziationen an südfranzösische Sommerabende wach. Auf der Zunge ist er weder zu süß noch klebrig-fuselig, auch nicht so ultra-bitter wie viele Magenbitter. Er hat ein gewisses zur bitteren Pfeffrigkeit des Kalmus passendes alkoholisches Feuer in sich was die Bitterkeit des Kalmus streckenweise übertönt wenngleich auch nicht aufhebt. Letzterer Punkt dürfte sich durch eine längere Lagerung zu einem noch edler ausgewogenen runden Geschmack ändern (so ist es meistens mit solchen Mischungen). Ein feiner Digestif; auch als Aperitif kann ich mir ihn vorstellen. Er sollte vielleicht leicht gekühlt aber nicht eiskalt serviert und getrunken werden, vielleicht aus Likörschälchen damit der Duft sich entfalten kann; der Duft ist wirklich etwas Besonderes. Für eine noch höhere Wertigkeit im Aroma bei kommerzieller Herstellung würde ich vor der eigentlichen Endlagerung (die definitiv länger sein muss als die von uns bestimmten zwei Monate) eine kurze Zwischenlagerung in gebrauchten Cognacfässern empfehlen; eine ganz feine Weinbrand-Holznote würde den weinbrandähnlichen Character noch unterstreichen. In jedem Fall würde er durch längere Lagerung geschmacklich noch ausgewogener. Leider hatten wir nicht genug zum Testen da, aber ich könnte mir auch noch vorstellen dass etwa 2cl Calmüser als Zusatz in einem Glas trockenen Sekt vorsichtig eingerührt ein äußerst eleganter sommerlicher Sekt-Cocktail mit französischem oder italienischem Touch wäre. In jedem Fall, probieren Sie das Selbermachen auch mal aus, das Resultat ist die Geschmackserfahrung wert. Ein liebenswertes Getränk.»
August Stahlschmidt ist in Halberstadt ein sehr erfolgreicher und wohlhabender Unternehmer, wovon die nachfolgenden Familienbilder zeugen, von denen mir die Familie Stahlschmidt/Muthwill freundlicherweise Fotos zur Verfügung gestellt hat.

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