Robert – Teil II

Jugend- und Lebenserinnerungen aus dem Kreuztaler Stadtarchiv von Robert Stahlschmidt, Ferndorf (*13.08.1855, + 09.12.1934), geschrieben in den Jahren 1923 – 1933.  An dieser Stelle geht mein Dank erneut an Dietmar Stahlschmidt für seine Unterstützung meiner Familienforschung.

Aus Dorf und Stadt
(
geschrieben im Winter 1923/1924)

Ferndorf – Ernsdorf/Kreuztal
Haben seit meiner Jugendzeit grosse Wandlungen durchgemacht. Zunächst die Eisenbahn.

Im Jahre 1861 wurde die Ruhr-Sieg-Bahn, Siegen-Hagen dem Verkehr übergeben und gleichzeitig war das neue Hochofenwerk Kreuztaler Hütte auf dem ausgedehnten Wiesengelände, sogenannte “Grosse Wiese” hinter dem Bahnhof Kreuztal erstanden, welches eine reiche Erwerbsquelle und vielen Arbeitern Beschäftigung brachte.

In Kreuztal (Moltkestrasse) war vom Moritz Hadem nur noch das kleine Wagners Häuschen vorhanden. Die Strasse war ein im Zick-Zack laufender Hohlweg mit tiefen Fahrrinnen, welche beim ersten Wetter eine einzige Wasser- und Schlammrinne darstellte.

Von Langenau bis Buschhütten war ausser der alten Försterei (welche 1913 abgebrochen) nur das Zimmermannsche Doppelhaus, sonst ausser dem Hof Langenau auf der weiten Strecke kein Gebäude.

Oberhalb Kreuztal
Von Sohler  bis Hammerhaus (alte Siebel) war kein Wohnhaus. Links von der Strasse, oberhalb Sohler war alter Eichen- und Buchen-Hochwald, rechts alter Tannenwald und Hauberggelände.

Von Kreuztal nach Ernsdorf/Ferndorf
waren vom Behnerschen Gasthof nur das alte Hesses Häuschen, welches heute der Ww. Gustav Herling gehört, sodann August Marx (mein Elternhaus), das kleine Stollenhäuschen, Hoss und Hermanns (altes Doppelhaus) Kolbe Jettchen (Aufseher Becker), Vörn Jostes und Schmeddehennersch (alte Lorsbach) Vom Gasthof Behner links: Lenke – Bruchs mit Schmiede, alte Marxes, Gasthaus Schmidt und Bäckerei, Ottos, vorn am Eingang zum Dorf vor dem Gasthof Peter Ernst, das alte Lenke und Drure Doppelhaus unmittelbar hart an der Strasse gelegen. Dieses Doppelhaus wurde in den 80ziger Jahren abgebrochen. Sodann folgten: Adam Müller und Schöler (Doppelhaus) Vorsteher Münker (Kaspers), Thomas Vetter (Handomeses) und Sixes (Gebr. Belz) und als letztes Schneidermeister Klein (Schniererkleins), welches später als Doppelhaus ausgebaut wurde.

Ferndorfer Separation
(geschrieben im Winter 1925/26)

Wenn ich nun meine Gedanken ausserhalb des Ortsbildes hinlenke, so wird heute jeder einsichtsvolle Einwohner von Ferndorf es begrüssen und den Männern Dank zollen, welche zu dem Werk der Separation beigetragen und zwar in erster Linie sind alle dem damaligen Gemeindevorsteher Berg Dank schuldig, welcher die Anregung zu der guten Sache gegeben, wonach Ferndorf eine Flur mit Wegenetz aufzuweisen hat, welches im weiten Umkreis nicht vorzufinden ist.

Als einzige Fahrwege in die Fluren und Hauberge waren die sogenannte “Viehstrasse” (heutige Kindelsbergstrasse), die Hohlwege zur Klippe und Hasengedenn, der Loherweg zur Zitzenbach und in die Loher Hauberge bis Grube Brüche und nach Müsen.

Vom mittleren Ort an, bei “Annierwes Haus” begannen die ausgefahrenen und vom Wasser ausgespülten Hohlwege, welche zum Rosenkamp und links ab zur Klippe führten, teilweise mit Steigungen schräger als ein Hausdach.

Für den ganzen Komplex “Ebertshahn” war nur der kurze Hohlweg die sogenannte “Ebertshahner Höhle” vorhanden.

Im ganzen Wiesengelände waren nur kurze Eingangswege. In der “Loher Wiese” wurde zur Heuernte (zum Mähen) auf einem bestimmten Tag, vom jeweiligen Wiesenvorsteher , eingeladen, damit sämtliche Anteile gleichzeitig gemäht und geerntet wurden und nicht mit dem Heuwagen über ungemähte Wiesen gefahren werden musste. In den übrigen Wiesengründen musste man sich gegenseitig einrichten und mit dem Nachbarn verhandeln, dass man abfahren konnte. Dass es bei diesen unzulänglichen Wege-Verhältnissen nicht ohne Zank und Streit abging, kann man leicht denken. Es kamen sogar Anzeigen vor, welche am Gericht erledigt wurden.

(geschrieben im Winter 1927/1928)

Das Jahr 1927 hat für das Ortsbild viele Verbesserungen gebracht, der alte Irlenbach mit Hecke ist verschwunden, der Bach zugewölbt mit Betonbettung und Decke, der untere Teil der Dorfstrasse ist gepflastert und mit jungen Bäumchen bepflanzt, sodann ist sehr viel gebaut worden, 16 – 17 neue Wohnhäuser entstanden.

1927 war das Jahr der Hochsaison (Gehaltsaufbau – Lohnerhöhung). Dabei wurde die Wirtschaft dann gründlich reingelegt.

(geschrieben im Februar und August 1933)

In den Jahren 1929/30 folgten dann die Abzüge und immer mehr Abbau und Entlassungen. Das Arbeitslosenheer steigerte sich auf 4 – 5 Millionen, die Fürsorge (Wohlfahrtslasten) wurde unerträglich und immer weiter auf die Gemeinden abgewälzt, welche dadurch in grosse Geldnot kamen und teils dem Bankrott zusteuerten. Es wurde eine Bürgersteuer eingeführt, jeder von 20 Jahren ab sollte zahlen nach Einkommen (Mann, Frau, Söhne, Töchter) wenn auch ohne Einkommen. Es war aber nicht durchführbar. Wo nichts ist kann man nichts holen. Erwerbslose, Invaliden unter 900,– Mark Jahreseinkommen wurden wieder frei gegeben. Sodann war eine hohe Hauszinssteuer seit 1924 eingeführt, welche bei uns etwa 100,– Mark betrug (Borns hatten 1932 noch 138,– Mark). Für diejenigen Häuser, welche landwirtschaftlichen Zwecken dienten, wurde 1927 die Hauszinssteuer wieder fallen gelassen (wir waren befreit).
Mein Schwiegersohn Wilhelm Knester war seit 1924 im Eichener Werk beschäftigt, seit Dezember 1931 auch arbeitslos, beschäftigte sich im Hause und auf unserer kleinen Landwirtschaft; bekam für die ersten 25 Wochen pro Woche 25,– Mark Unterstützung – später 10,– Mark und seit Oktober bis Ende März 17,– Mark für die Winterzeit. Im Sommer 1932 wurde in vielen Dörfern und Städten ein freiwilliger Arbeitsdienst eingerichtet und durch die Arbeitsämter überwacht und bezahlt pro Tag 2,– Mark – später nur noch 1,80 Mark.

In Ferndorf waren teils 80 bis 120 Mann beschäftigt; zunächst wurde der Ferndorfbach von der Mühle bis Aherhammer ausgebaut und reguliert, die grosse Windung oberhalb der Mühle gerade gebaut; sodann hat eine Kolonne im Hauberg am Hohlbusch unter der Waldesruh vorbei über den Birkhahn eine fahrbare Strasse gebaut. Kolonnenführer war Ernst Hellmann.

Seit Ausgang des ersten Weltkrieges 1919 (1918) hatte sich die Revolutionäre Rote Partei die Herrschaft erobert und durch Lug und Betrug eine Luderwirtschaft fortgesetzt, welche das Deutsche Volk und Land in den Abgrund (Bankrott) gebracht hätte. Da wurde am 30. Januar 1933 durch unseren alten Reichspräsidenten von Hindenburg ein neues Kabinett einberufen, an dessen Spitze Adolf Hitler als Reichskanzler eintrat; mit einem Schlage war das Regierungssystem geändert. Der Reichstag wurde sofort aufgelöst, die ersten Betrüger entlassen (Braun, Severing, Grpinsky) sämtliches Parlament aufgelöst. Am 5. März war Reichstagswahl, am 12. März Landtags- und Kommunalwahl welche eine volle Mehrheit für Hitler brachte. Nun kamen überall neue Männer ans Ruder, alle Kommunistennester wurden ausgefegt, viele flohen ins Ausland. Tausende wurden festgenommen und die Vermögen beschlagnahmt. Nun hoffen wir ruhige und geordnete Verhältnisse in Staat und Wirtschaft zu bekommen.

Abschrift eines beigefügten Zettels aus dem Jahr 1932:

Gehälter der Amts-Beamten:

Dr. Moning            5.288,– RM Jahresgehalt
Spickermann         5.494,– RM Jahresgehalt
Rob. Klein             4.606,– RM Jahresgehalt
Pabst                    6.115,– RM Jahresgehalt

Beamtenanwärter 2.733,– bis herab auf 1.555,– RM
Gemeindevorsteher Berg  Jahresgehalt, ? jährlich 120,– …, wie mir Vater mal erzählte