Robert – Teil I

Jugend- und Lebenserinnerungen aus dem Kreuztaler Stadtarchiv von Robert Stahlschmidt, Ferndorf (*13.08.1855, + 09.12.1934), geschrieben im Jahre 1923.  An dieser Stelle geht mein Dank erneut an Dietmar Stahlschmidt für seine Unterstützung meiner Familienforschung.

Von dem Elternhaus und den Jugendjahren

Mein Vater, Gustav Stahlschmidt, war der dritte Sohn des früheren Bürgermeisters Ludwig Karl Stahlschmidt. Er stammte aus dem Haus Wittgensteiner Strasse 17 in Ferndorf, das heute von Friedrich Münker bewohnt wird. Er war Huf- und Kleinschmied und hatte bei seiner Verheiratung eine Wohnung und Schmiede in Kreuztal, wo jetzt das Geschäftshaus von Willi Kaletsch steht. Hierselbst sind meine ältere Schwester Lina und ich geboren. Später ist das kleine Haus von Conrad Kaletsch von der Firma Justus Stahlschmidt angekauft und auf Holzrollen unten an die Kaiserstrasse gerollt worden, wo es heute noch von den Arbeitern Steuber und Weissenbrücher bewohnt wird.

Im Jahre 1856 hat mein Vater unser Elternhaus (jetzige Wohnung August Marx1) in Ernsdorf von einer Familie Knester gekauft. Dort sind meine übrigen Geschwister Berta, Hermann und Ernst geboren, und meine Eltern haben dort bis zu ihrem Tode gewohnt.

Mein Vater war neben seinem Beruf als Kleinschmied auch ein grosser Tierfreund, unter anderem hatte er s. Ztz. einen weissen Pudelhund, welcher so abgerichtet war, dass derselbe ohne Begleitung das Essen oder Kaffee im Henkelkorb nach Kreuztal zur Schmiede brachte. Auch hatte er lange Zeit einen zahmen Fuchs, welcher oft mit dem Vater lief.

Sonntags morgens bin ich oftmals mit dem Vater zum Jakob Stahlschmidt (Jakoben)2 im jetzigen Herlingshaus in Kreuztal spaziert, wo eine alte gute Schenke und gute Unterhaltung war. Der alte Jakob Vater war ein sehr weiser, gelehrter Mann, der später ganz erblindete. Seine edle, tugendsame Frau trug immer eine weisse Netzhaube. Sie hatten vier Kinder: Karl, Wilhelm, Emilie und Henriette. Eines Morgens sind wir fischen gegangen mit Karl, welcher später, ebenso wie Emilie, unverheiratet starb. Wilhelm war nach Ernsdorf verheiratet mit Berta Vetter, die in zweiter Ehe Frau Peter Ernst geworden ist, Henriette ein sehr schönes Mädchen, heiratete spät den Grubenmakler Noellin in Siegen3.

Beim Eisenbahnbau 1858 – 1861 hat mein Vater auch Schmiedearbeiten ausgeführt. Als ich eines Tages oben auf dem Heidfeld auf der Strecke bei ihm war, kamen zwei Postpferde im Galopp angesprengt, welche dem Postillon durchgebrannt waren.

Als die erste Lokomotive im Jahre 1860 nach Kreuztal kam, lief ich mit meinem früh verstorbenen Freund und Nachbar, Fritz Marx, nach dem Bahnhof, um dieses Weltenwunder anzusehen. Auch war ich einmal in Siegen, wo ich zum erstenmal einen Personenzug sah (alte Köln-Mindener Bahn) mit Lederklappen statt Glasscheiben an den Fenstern der vierten Klasse.

Mit viel Mühe und Lebenssorgen haben meine Eltern ihren kurzen Lebenslauf durchgekämpft. Mein Vater starb bereits am 18. Februar 1862, erst 37 Jahre alt, im besten Mannesalter an Unterleibsentzündung, welche wohl die heutige Blinddarmentzündung darstellt. Als kräftiger starker Bursche, der bei der Artillerie in Deutz gedient hatte, war er nur einige Tage krank und starb schmerzlich betrauert von allen, welche ihn gekannt, namentlich von meiner jungen Mutter, welche zwei Monate später am 23. April noch dem jüngsten Bruder Ernst das Leben schenkte, und mittellos ohne Ernährer dastand.

Meine Mutter, Marie Elisabeth, geb. Münker vom Irlenhof in Ferndorf war die zweitälteste von sieben Kindern der Eheleute Johannes Münker und Katharine, geb. Klein auf dem Irlenhof. Der Grossvater Johannes Münker war Landwirt und hatte früher Stahl geschmiedet. Er war gebürtig aus “Dietrichs” Haus.

Die Geschwister meiner Mutter waren:

Johs. Eberhard Münker
Frau Johs. Buch, Marianne geb. Münker (gest. zu Augustfehn/Oldenburg)
Heirich Münker (Irle Henner)
Frau Julius Schneeloch, Henriette geb. Münker (gest. zu Gelsenkirchen)
Frau J.H. Immel, Helene geb. Münker (gest. zu Kreuztal)
Karoline Münker starb ledig am 26. Mai 1860 an Typhus auf dem Irlenhof im Elternhause, wo sie kurz vor der Heirat stand, um ihrem Schwager, Obermeister Johs. Buch, in zweiter Ehe die Hand zu reichen.

Die Geschwister meines Vaters sind mir nicht alle bekannt4.  Ich nenne die bekanntesten Namen:

Frau H. Behner, Kreuztal
Hermann Stahlschmidt
August Stahlschmidt, Ferndorf
Frau Hrch. Münker
Frau Hammerschmidt
Frau Blume
Tante Malchen und Emilie

Am Sterbetag meines Vaters (18. Februar 1862) kam mein Grossvater zu mir in die Schulklasse bei Lehrer Flender, um mich für einige Tage in seine Wohnung bei Onkel Hermann einzuladen. Hier blieb ich bis nach der Beerdigung. Danach kamen Lina und ich zur Pflege und Erziehung auf den Irlenhof ins Grosselternhaus mütterlicherseits. Lina blieb dort bis zu ihrer Verheiratung 18745.

Auf dem Irlenhof wurden wir im Haushalt der Grosseltern rechtlich und ehrenhaft behandelt und erzogen. Der Grossvater war stets ein treuer Berater und Helfer meiner Mutter. Er ging regelmässig Mittwochs- und Samstags-Nachmittags nach Ernsdorf, um den Stall zu reinigen und nach dem Rechten zu sehen, wobei ich helfen musste und frühzeitig Lehre und Winke erhielt, welche mir im späteren Leben nützlich waren.

Allzufrüh, am 12. Dezbr. 1866, starb mein Grossvater. Obwohl die Grossmutter den Haushalt weiter führte, war meiner Mutter doch die gute Hilfe genommen und deren Fortkommen vom guten Willen ihrer Brüder Joh. Eberhard und Heinrich abhängig gemacht, welches denn auch mehr und mehr die ohnehin schwache Frau zermürbte und dahin siechen liess, um am 6. Juni im Jahre 1870 (geb. 10.10.1827) für immer die Augen zu schliessen.

Ich sass am Todestage mit wehem Herzen auf der Einsegnungsbank und weinte bittere Tränen, indem ich des grosses Leides der armen Mutter gedachte, welche am Abend starb.

Im Winter 1868/69 waren viele Nervenkranke (Typhus) in Ferndorf. Auch der Irlenhof wurde heimgesucht, mein Onkel Heinrich, Tante Karoline, Schwester Lina und ich lagen krank darnieder, ich 18 Wochen. Tante Karoline starb, ebenso in Heuschürs die erblindete Marianne, in Fröhnigers Haus (Schäfer) starben vier oder fünf junge Burschen von 10 – 21 Jahren und eine Tochter, auch Wolfs Friedchen und Aug. Dreute, alles junge starke Leute.

Nach meiner Konfirmation blieb ich noch auf dem Irlenhof, um die Schlosserei zu erlernen, musste aber meistlich auf der Landwirtschaft arbeiten.

Im Juni 1870 war das erste Kriegerfest in Irlenhecke, wo gleich darauf die Kriegserklärung gegen Frankreich erfolgt, welcher nach dem Friedensschluss zu Frankfurt am Main die deutsche Einheit brachte.

Im Spätsommer 1872 reiste ich mit einer Familie Eduard Groos nach Schalke/Gelsenkirchen, wo ich bei Onkel Schneeloch Quartier bezog und bei der Firma Bröker & Cie. als angehender Schlosser Arbeit fand. Es erging mir recht und schlecht, bei Tante Henriette spärlich Tisch und kurz gehalten, im Betrieb als ungelerntr Junge wenig beachtet, doch gerne gesehen, suchte ich bald weitere Ausbildung, welche ich in der Kanonenwerkstatt bei Krupp in Essen als Dreher fand, wo ich im Sommer 1873 eintrat. Auch hier war ich Lehrling, hatte keinen grossen Betrieb und Dreherei gesehen, dazu schwach und mutlos und wäre gerne davongelaufen, wenn mir nicht der gute Siegerländer Meister Braun durchgeholfen und mir Mut zugesprochen hätte. Ich wohnte in der Frohnhauser Strasse 22 bei Obermeister Merten, wo es gutes Essen gab, Fleisch und Bier. Meine geschwächte Gesundheit und junges Liebesgebändel liessen mich nicht lange in der schwarzen Industrie verbleiben, und so kehrte ich im Frühsommer 1874 auf den Irlenhof nach Ferndorf zurück, wo ich anfangs in der Schlosserei, nachher aber meistlich wieder auf der Landwirtschaft arbeiten musste und keinen Lohn, nur äusserst knapp von Onkel Heinrich ein Taschengeld erhielt, worauf ich im Juli nach Dillenburg bei Firma H. Wolff, Maschinenfabrik, eintrat und im November 1874 in die Eisenbahnwerkstatt nach Betzdorf kam, wo ich 2 1/2 Jahre als Schlosser und Dreher arbeitete. Von Betzdorf trieb mich die Wanderlust im Hochsommer 1877 hinaus und reiste mit einem Collegen, Schlosser Fritz Jung aus Hattert/Westerwald, nach Frankfurt a.M., von da zu Fuss nach Offenbach, Hanau, Gelnhausen, Wächtersbach, Schlüchtern, Fulda, Kassel, dann über Warburg, Arnsberg, Schwerte, Dortmund, Essen, Mülheim, Duisburg, Benrath, Deutz, Siegburg zurück nach Ernsdorf zu meinem Schwager Aug. Marx in Quartier, wo ich dann bei Ebh. Stahlschmidt6 als Werkzeugschlosser für geringen Lohn Arbeit fand. Doch auch hier war meine Stätte nicht, ich verdiente zum Lebensunterhalt nicht genug und fand später Arbeit in der Eisenbahn-Hauptwerkstatt zu Siegen, wo ich jedoch als Junggeselle mit 30 Mann im Frühjahr 1878 entlassen wurde. Es war Flaute eingetreten. Doch gelang es mir gleich auf der Friedrich-Wilhelm-Hütte in Troisdorf Arbeit zu finden. Hier in der Friedr.-Wilh.-Hütte war ich als Schlosser beschäftigt und blieb daselbst ein Jahr bis zu unserer Verheiratung, welche am 24. April 1879 in kleinem Kreise erfolgte7.

Nachdem ich den Sommer über bei Eberh. Stahlschmidt hierselbst gearbeitet hatte, kam ich im Oktober 1879 nach Aherhammer zu der Firma Justus Stahlschmidt8 als Schlosser in Stellung, welche im Winter 1880 in Kreuztal mit dem Neuau des Walzwerkes begann, wo ich dann bei dem Aufbau der Öfen, Walzenstrasse, Dampfhammer, Dampfleitungen und Maschinen helfen musste und bei der Betriebsaufnahme am 14. August 1882 mit der leitenden Stelle als Werksmeister betraut wurde, zunächst eine Reihe von Jahren gegen geringen Tageslohn von 3,50, 4,–, 5,–, 6,– Mark pro Schicht, später als Angestellter mit einem Monatsgehalt von 175,– Mark.

Aus unserer Ehe sind 13 Kinder entsprossen, wie folgt:

Minna, geb. 7. Juni 1880
Bernhard, geb. 8. Februar 1882
Regine, geb. 6. Dezember 1883
Jenny, geb. 9. Juli 1886
Gretchen, geb. 15. Aug. 1888, gest. 3. Februar 1906
Emilie, geb. 5. Jan. 1890
Gustav, geb. 8. Juni 1891, gest. 8. November 1893
Conrad, geb. 26. März 1893, gest. 13. Oktober 1921
Clemens, geb. 8. April 1895
Hedwig, geb. 29. November 1896
Frieda, geb. 20. Juni 1899
Tony, geb. 15. April 1904
Johanna, geb. 5. Oktober 1906

Am 11. Oktober 1888 starb meine Schwiegermutter, Witwe Wilhelmine Busch, geb. Siebel, verwitwete Oerter, der erste Ehemann war Comunal-Rendant9+10.

1 August Marx ist der Ehemann von Roberts Schwester Lina (siehe unter 5)
2
Jakob Stahlschmidt ist ein Cousin zweiten Grades von Robert. Die gemeinsamen Vorfahren sind Wilhelm Stahlschmidt und Anna Maria Schumacher.
3 Die am 18.02.1844 geborene Henriette Stahlschmidt, Tochter des Jakob St., heiratet am 25.04.1879 Christian Stahlschmidt aus Siegen (*19.08.1838)
4 Gustav Stahlschmidts Geschwister sind auf Seiten 587 – 589 im DGB, Band 139, aufgeführt.
5 Lina heiratet am 8.09.1874 den Ernsdorfer Metzger August Marx.
6 Fabrikant Eberhard Stahlschmidt ist ein Cousin von Robert. Die gemeinsamen Vorfahren sind Philip Henrich Stahlschmidt und Anna Catharina Schweisfurth
7 Am 24.04.1879 heiratet Robert die am 05.09.1857 in Krombach geborene Amalie Busch, Tochter des Anstreichers Heinrich Busch und der Maria
Elisabeth Katz (*14.05.1834, +13.07.1861). Amalies Eltern heiraten am 04.02.1859 in Krombach. Ihre Vorfahren sind in unserem OFB Krombach zu finden.
8 Justus Stahlschmidt ist ein Grossonkel von Robert. Die gemeinsamen Vorfahren sind Philip Henrich Stahlschmidt und Anna Catharina Schweisfurth
9 Amalies Mutter Maria Elisabeth Katz stirbt am 13.07.1861 an Auszehrung. Heinrich Busch heiratet am 15.05.1862 in zweiter Ehe Wilhelmine Siebel
aus Ferndorf.
10 Aus aktuellem Anlass einen herzlichen Glückwunsch an Roberts Urenkelin Sibylle zu ihrer am 16.07.2009 geborenen Urenkelin Emilia.